SOUND & SCIENCE 2022

Von den Erlebnisräumen des Hygienemuseums

23. Mai 20:00 Uhr & 21:00 Uhr im Hygienemuseum  zu den Dresdner Musikfestspielen 2022

Professor Stefan E. Schmidt lehrt nicht nur Methoden der angewandten Algebra an der TU Dresden, sondern ist auch Pianist und Organist. Seine zauberhaften Klänge & Stunts zeigte er im Hygienemuseum mit seiner experimentellen Musikgruppe Stefan E. Schmidt & Company.

Seit über zehn Jahren arbeitet er mit der Bildenden Künstlerin & Musikerin Franziska Leonhardi zusammen. Gemeinsam entwickeln sie musische Erlebnisräume, in denen Musik und Bilder sich wechselseitig erzeugen und miteinander kommunizieren. Dabei entstehen auch neue pädagogische Entdeckungen und Konzepte, welche sowohl in musikalischer Früherziehung als auch in Seminaren an der TU Dresden exploriert werden. Das verwendete Mittel der musischen Improvisationen gründet in mathematisch-kognitiven Mustern und Gesetzen.

Ein interaktives Wandelkonzert in den Erlebnisräumen des Hygienemuseums

Mit dabei waren: Landeskirchenmusikdirektor Markus Leidenberger Konzert mit Lufttieren, Musikpsychologe und Komponist Fernando Bravo Gitarrenbau mit musikalischer Interaktion, Florian Helling Melodien und Rhythmen aus Zellulären Automaten, Henry Alkhatari, kaLinka&Zippora, der Schauspieler und Musiker Jonas Friedrich Leonhardi und viele andere. Die Rostocker Musikwissenschaftlerinnen Prof. Friederike Wissmann und Gabriele Groll reisten mit Euch in die Historie der Visual Music.

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Weiteres:

Stefan E. Schmidt ist Musiker und Mathematiker. An der TU Dresden hat er seit 2006 die Professur für Methoden der angewandten Algebra inne. Eine praktische Auseinandersetzung mit Musik einerseits und eine interdisziplinäre musikalische Forschung andererseits führte ihn zu Fragen „Wie tickt Musik?“ oder „Was ist Musik im Kopf?“ oder „Warum bewegt Musik & wie entsteht Musik aus Bewegung?“ oder „Welche Bilder evoziert Musik & wie klingen bewegte Bilder?“ oder „Wie spielen Kinder Musik & wie musizieren sie im Spiel?“ Zu ergründen ersucht er dabei die Überlieferung von Musik in Praxis und Theorie:


• Da gibt es hartkodiert die ältesten Lochkarten der Menschheit in Form von Knochenflöten (die drei-löchrige Schwanen-Knochenflöte oder die fünf-löchrige Gänsegeier-Knochenflöte), die uns mehr als dreißigtausend Jahre zurückblicken lassen,

• und da staunen wir, dass in den altgriechischen mathēmata der Begriff der Proportion die Arithmetik, die Geometrie, die Musik (am Monochord) & die Astronomie in einem Konstrukt verbindet & die pythagoreische Tonleiter musiktheoretisch begründet,


• und da sind die filmreifen Orgeln der alten Römer in ihren großen Arenen, musikalisch noch weitgehend unerforscht!


Stefan E. Schmidt wuchs in einem kleinen Wald in Norddeutschland auf und interessierte sich schon früh für den Gesang der Vögel mit ihren zwitschernden, glissando-artigen Melodien – lange bevor er von der Seltenheit der Vocal Learner erfuhr. Seine Blockflöte nahm er oft mit zum freien Spiel in der Natur. Zu Hause lud das Klavier ein zu strengem Spiel und freier Improvisation. Es schloss sich ein achtjähriges privates Studium alter und neuer Musik mit Schwerpunkt Improvisation und Komposition an der Orgel beim Kirchenmusikdirektor Karl Lorenz an. Als anerkannter Vertreter der Lübecker Orgelschule und als Schüler des legendären Walter Kraft legte Karl Lorenz großen Wert auf die Wechselwirkung von Musik und Bewegung.
Parallel zur Musik entwickelte sich eine große Leidenschaft für Mathematik, welche im Studium an der Universität Hamburg besonders durch den Geometer Walter Benz gefördert wurde.


In den 1980er Jahren stellte Stefan E. Schmidt sich im Rahmen seiner Promotion an der TU Darmstadt zu den Grundlagen der Geometrie zusehends mathematisch-philosophische Fragen wie „Ist ein Punkt teilbar?“ oder „Wie lässt sich der schleifende Schnitt mathematisch modellieren?“ oder „Gibt es nahe der Horizontlinie Punkte zwischen Himmel und Erde?“ Dies führt zu einer kognitiven Sicht geometrischer Sachverhalte, welche stark auf Interpretationen fußen. Aus der Sicht der Musik bedeutet dies beispielsweise:
„Höre ich in der gleichstufigen Stimmung unserer westlichen Musik eine große Terz als eine zu große reine Terz, nehme ich eine solche also als eine reine Terz plus eine Abweichung wahr?“ oder „Ist auf den weißen Tasten des Klaviers das Tastenmuster wichtiger als der Klang?“
Sein Doktorvater, Rudolf Wille, arbeitete als Mathematiker, Musiker und Musiktheoretiker unter anderem an der Entwicklung einer extensionalen Standardsprache der Musik, in welcher Begrifflichkeiten wie Ton, Intervall, Klang, Klangform, Harmonie und Harmonieform klärend mathematisch modelliert werden. Die hierzu gehaltenen interdisziplinären Vorlesungen begeisterten Stefan E. Schmidt, und zur paradigmatischen Ausstellung „Symmetrie in Kunst, Natur und Wissenschaft“ 1986 in Darmstadt betreute er die Entwicklung und Umsetzung eines visuellen E-Pianos. Parallel dazu wirkte Stefan E. Schmidt seit 1982 in der durch die Musique concrète beeinflusste Avantgarde Band P16.D4 und beim Label Selektion mit – https://de.wikipedia.org/wiki/P16.D4.
Das von Selektion herausgebrachte Doppelalbum Nichts, Niemand, Nirgends, Nie diente als akustische Grundlage des sehr erfolgreichen mikrorhythmischen Multi-Scratching-Projekts SLP, welches 1988 auf den Darmstädter Ferienkursen und der ICMC in Köln (International Computer Music Conference – Wikipedia) sowie 1989 auf den Leipziger Jazztagen (Leipziger Jazztage – Wikipedia) und 1990 auf der Ars Electronica in Linz (Ars Electronica – Wikipedia) aufgeführt wurde.


Auf den Darmstädter Ferienkursen (und auch zur Uraufführung von Europeras 1 & 2 im Jahre 1987 in der Oper Frankfurt) hatte Stefan E. Schmidt intensive Diskussionen mit John Cage zum Thema Positivity. In diesem Zusammenhang erdachte John Cage das Lebensmotto Vast Expansion für ihn und schrieb dies auf die Rückseite seiner Dissertation. In den 1990er Jahren vertiefte Stefan E. Schmidt seine mathematischen Forschungen zu Grundlagen des geometrischen Denkens, der algebraischen Modellierung & Kodierung sowie zur mathematischen Musiktheorie an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz, gefolgt von einem zehnjährigen wissenschaftlichen Aufenthalt in den U.S.A. an der UC Berkeley (bei George Bergman), den AT&T Labs (bei Robert Calderbank), am M.I.T. (bei Richard Stanley) und im Information Sciences Research Team des Physical Science Lab an der NMSU – in enger Zusammenarbeit mit Vladimir Lefebvre, bekannt als Vater der reflexiven Theorie und Autor von Algebra of Conscience [Algebra des Gewissens].


Seit 2006 hat Stefan E. Schmidt die Professur Methoden der angewandten Algebra an der TU Dresden mit stark interdisziplinärer Ausrichtung inne. Sein besonderes Anliegen ist ein allsemestriges Angebot eines interdisziplinären Seminars, in welchem besonders das Zusammenspiel von Mathematik, Musik und bildender Kunst ergründet wird – in den ersten Jahren unter dem Motto Mathematik, Musik, Kommunikation und später unter Musik, Mathematik, Kognition. Die Mitwirkung der Künstlerin Franziska Leonhardi führte verstärkt zu Fragen der Visualisierung von Musik.


Als Früchte ergaben sich eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten und deren praktische Umsetzung. So war die TU Dresden auf dem evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden an der Visualisierung von Felix Mendelssohn-Bartholdis Paulus Oratorium beteiligt – im Rahmen eines open-air Konzertes mit circa 400 Musikern, dirigiert vom LKMD Markus Leidenberger – künstlerisch gestaltet von Franziska Leonhardi.
Weitere Projekte zur Visual Music wurden gemeinsam mit Franziska Leonhardi in den letzten zehn Jahren alljährlich in der Musikreihe hinhören in der Martin-Luther-Kirche, Dresden-Neustadt, realisiert – musikalisch gestaltet von Stefan E. Schmidt & Company.


Wissenschaftliche Arbeiten zu einer mathematischen Modellierung musikalischer Phänomene und zur Musik-Kognition veröffentlichte Stefan E. Schmidt unter anderem zusammen mit dem Latour Professor Martin Rohrmeier (https://www.epfl.ch/labs/dcml/lab/rohrmeier/ ). Eine der Leitfragen war und ist: „Wie lässt sich Musik hören, denken & sehen?“